Gedanken eines Hampelmanns

Degen vs. Pressefreiheit

 

 

Oder weshalb ich das Degen-Bargespräch trotzdem publiziert habe

Wir trafen die Zwillinge David und Philipp Degen zum Bargespräch. Es verlief locker, inhaltlich sagten sie nichts Besonderes. Dennoch erlaubte David Degen die Veröffentlichung nicht. Weil ihm das Ergebnis nicht gefiel. Journalisten sind allerdings nicht für das Image ihrer prominenten Gesprächspartner verantwortlich. Sonst könnte man die Pressefreiheit gleich an den Meistbietenden verkaufen.

Von Christian Nill

Nachdem ich das Bargespräch mit den Degen-Zwillingen veröffentlicht hatte (und zwar zum im Vorfeld definierten Termin auf den 1. August hin), dauerte es zwei Tage bis die Protestlawine auf mich einprasselte. Mein Handy klingelte fast ununterbrochen. Ich konnte allerdings nicht ran, da ich in einer Sitzung war. Dann riefen ein Spielerberater (nett) und ein Geschäftspartner der Degens (ebenfalls nett) an. Später führte ich ein halbstündiges Telefongespräch mit David Degen. Schliesslich erhielt ich ein Mail vom Anwalt der Degens mit ultimativer Aufforderung, das Gespräch sofort vom Netz zu nehmen. Rüdes Foul von zwei Fussballprofis an der Pressefreiheit.

Zudem erhielt ich ein Mail von Herrn Dr. Bernhard Heusler, seines Zeichens respektabler Präsident des verdienstvollen FC Basel 1893. Auch in dessen Mail ging es um die ultimative Forderung, das Bargespräch umgehend vom Netz zu nehmen. Ausserdem hat mich der Degen-Anwalt aufgefordert, eine Erklärung abzugeben, das Gespräch in Zukunft in keiner Weise mehr zu veröffentlichen.

Begonnen hatte es einige Tage zuvor

Mein Ärger war gross, als Fussballprofi David Degen (FC Basel) mein mehrseitiges Gespräch nicht zur Veröffentlichung freigab. Er schrieb per Mail, es sei das schlechteste Interview, das er je gelesen habe. Diese Meinung sei den Degen-Zwillingen unbenommen: Jedermann darf vom Text Ein Drink an der Bar mit den Degen-Zwillingen halten, was er will.

Aufgrund von David Degens unpräziser, pauschaler Äusserung fragte ich nach, was er konkret geändert haben möchte. In seinem zweiten Mail äusserte er sich dahingehend, dass das komplette Gespräch völlig umgeschrieben werden müsse. Er erwarte ein interessantes Gespräch zu verschiedenen Themen. Ob das Bargespräch interessant war oder nicht, sollen allerdings die Leser entscheiden. Und selbstredend wurden verschiedene Themen behandelt.

Ich schrieb eine zweite Version, diesmal fokussierter auf die eigentlichen Inhalte und mit viel weniger Ping-Pong-Schlagabtäuschen der Zwillinge. Wieder kam ein absolutes Nein. David Degen schrieb, der Text müsse komplett umgeschrieben werden, auch in den Satzstellungen.

Befürchtete Image-Schädigung des FC Basels

Mit Verlaub: Wir Journalisten erfinden im Normalfall keine Interviews (es gibt unrühmliche Ausnahmen, gewiss), und die blosse Änderung der Satzstellung ändert bekanntlich nichts am Inhalt des Gesagten.

Danach erhielt ich auch noch ein Mail von der Medienstelle des FC Basels, in dem imageschädigende Auswirkungen für die Gebrüder Degen und den gesamten FC Basel bei Veröffentlichung des Gesprächs befürchtet wurden. Es wurde untersagt, dass Gespräch zu veröffentlichen. Das nenne ich einen Angriff auf die Pressefreiheit.

Ein hochoffizielles Gespräch zwischen Journalist und Fussballprofi

Das geht einfach nicht: Ein Gespräch, das abgemacht und vereinbart war, bei dem ein Gesprächsthema schon im Vorfeld definiert wurde (das neue Businessprojekt der Degens namens Cresqo), das in einem öffentlichen Lokal stattgefunden hat, das vom Profifotografen  Mischa Scherrer festgehalten und von mir (in meiner Funktion als Journalist) offiziell auf Tonträger aufgezeichnet wurde und bei dem sich die prominenten und mediengewandten Degen-Brüder mitunter auch auf ihre Professionalität berufen – so ein Gespräch darf nicht einfach nach Belieben zurückgezogen werden können. Bloss weil den Degens der Inhalt nicht passte; bloss weil sie zu spät realisierten, wie sie sich in der Öffentlichkeit präsentierten und weil sie nicht das Image von ihnen transportiert sahen, das sie gerne vermitteln würden.

David Degen sagte, er wisse genau, was er sagen müsse.

Bei allem Respekt: Journalisten sind keine Werber. Und ich bin nicht der Hampelmann der Gebrüder Degen. Wenn diese sich ein anderes/besseres Image in der Öffentlichkeit zulegen wollen, dann sind sie frei, eine Werbeagentur damit zu beauftragen.

Aber eine Stunde lang mit einem Journalisten plaudern, dabei fotografiert werden und später realisieren, oh hoppla, das wird ja veröffentlicht: Das geht nicht. David Degen hat mehrmals betont, auch im Nachhinein, dass er seit 13 Jahren ein Vollprofi sei, dass er genau wisse, was er sagen müsse, dass er schon sehr vielen Journalisten gegenüber gesessen sei und so fort. Gut so. Dann hätte er ja auch wissen müssen, dass ein Journalist ein Gespräch, das einzig aus dem Grund stattfand, veröffentlicht zu werden und das digital aufgezeichnet wurde, schliesslich auch tatsächlich veröffentlichen wird.

Und zwar in der Form und mit den inhaltlichen Schwerpunkten, für die sich der Journalist entscheidet. Das gehört zur Pressefreiheit. Ironischerweise betonten beide Degen-Brüder während des Bargesprächs, wie gut das Gespräch sei, dass ich die richtigen Fragen stellen würde und dass das ganze hochstehend sei.

Wir sind Journalisten – und keine Handlanger prominenter Selbstvermarktung.

Grundsätzlich gilt in der Schweiz die Regel (es ist kein Gesetz), dass die interviewte Person das Recht an ihren Zitaten hat (diese Regel gibt es beispielsweise in Amerika nicht; da hätte ich dieses Gespräch problemlos veröffentlichen können). Daraus folgt das gewährte Recht, die eigenen Aussagen gegenzulesen. Dabei geht es darum, die Fakten zu checken, Missverständnisse zu beseitigen (im Fall das Gespräch nur schriftlich notiert wurde), allenfalls im kosmetischen Bereich sprachlich etwas zu korrigieren. Es ist ein Missverständnis und eine grassierende Unsitte, dass Gesprächspartnern im Nachhinein die aufgezeichneten Interviews nach belieben umformulieren, ändern oder ergänzen. Immer mit der Drohkeule in der Hand: Journalist, mach was man dir sagt oder das Gesagte wird zurückgezogen.

Das Recht am eigenen Zitat darf nicht bedeuten, dass man ein Vetorecht hat und alles Missliebige von vornherein aus dem Verkehr ziehen kann. Wir sind Journalisten, keine Handlanger und Erfüllungsgehilfen für die Selbstvermarktungs-Strategien öffentlich bekannter Persönlichkeiten.

Unsere Hauptregel lautet: Gesagt ist gesagt.

Anfügen möchte ich, dass ich mich bis dato immer und uneingeschränkt an das Recht am eigenen Wort unserer Gesprächspartner hielt. Auch wenn ich bei weitem nicht immer damit einverstanden war, wenn Gesprächspartner im Nachhinein das Gesagte abgeschwächt, gelöscht oder umformuliert haben.

Für mich ist klar: Personen des öffentlichen Lebens, wie es die Degen-Brüder sind, müssen sich als prominente Zeitgenossen mehr gefallen lassen als der gemeine Durchschnittsbürger. Die Degens wussten haargenau, worauf sie sich eingelassen haben. Im Bargespräch mit ihnen stand nichts Verletzendes oder Kompromittierendes, es wurden keinerlei Geheimnisse oder Internas ausgeplaudert. Umso unverständlicher für mich und für viele, die das Gespräch gelesen haben, dass die beiden 29-jährigen Zwillingsbrüder die Gelassenheit nicht haben, ein harmloses Gespräch zu autorisieren.

FC Basel versus FC Bar-Storys.ch: Nun muss unser Anwalt ran.

Mein Anwalt, den ich einschalten musste aufgrund der anwaltlichen Reaktion von der Degen-Seite, sieht die Situation ähnlich wie ich und formulierte diese Sichtweise an den Anwalt der Degen-Brüder u.a. wie folgt:

«Tatsache ist, dass die Gebrüder Degen als Medienprofis genau wussten, worauf sie sich einliessen. Aufgrund der vorgängigen Vereinbarung über die Art der Gesprächsführung und dem ausdrücklichen Hinweis, dass die Aussagen auf Band aufgezeichnet würden, musste ihnen klar gewesen sein, dass die Aussagen, die im Verlaufe des Gesprächs gemacht wurden, nicht privater Natur, sondern für die Öffentlichkeit bestimmt waren.

Usus ist auch, dass trotz vereinbarter Autorisierung durch die Interviewten keine Korrekturen angebracht werden können, die völlig vom geführten Gespräch abweichen. Inhalte können nicht einfach gestrichen oder neu erfunden werden. Eine übermässige Anpassung des tatsächlich geführten Gesprächs im Sinne einer vollkommenen Neuformulierung wäre eine Verzerrung der Tatsachen und vor den Leserinnen und Lesern nicht zu verantworten.

Die Öffentlichkeit hat das Recht zu erfahren, wie die prominenten Fussballer wirklich sind, weshalb das publizierte Interview als authentische Widergabe des effektiv Gesagten in unveränderter Form zu publizieren wäre.»

Rückzug – und eine Niederlage für die journalistische Unabhängigkeit

Ich habe mich schliesslich dennoch entschieden, das Gespräch von der Plattform Bar-Storys.ch zurückzuziehen. Entsprechend habe ich meine  Content-Partner angewiesen, es mir gleich zu tun. Ich bedauere dies sehr. Denn auf diese Weise laufen wir Journalisten Gefahr, zu Marionetten von wie auch immer gelagerten prominenten Befindlichkeiten zu werden. Dabei geht die journalistische Unabhängigkeit natürlich verloren. Das kann es nicht sein. Trotz der aus unserer Sicht völlig klaren Sachlage, habe ich nicht die finanziellen Mittel, um es auf eine richterliche Entscheidung ankommen zu lassen. Auch wenn ich zutiefst davon überzeugt bin, keinerlei Persönlichkeitsrechte verletzt zu haben.

Folglich steht in dieser Angelegenheit das Recht am eigenen Wort in krassem Konflikt mit der Pressefreiheit. Und die Pressefreiheit verliert diesen Match. Schade.

Text: Christian Nill, August 2012

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